Wirf deinen Schatten Sonne

Essay zur Zeitmessung an Karmelenberg und Goloring
Dr. Wolfgang Zäck, Mayen, 1992
















Sobald nun Achab den Elias sah, rief er ihm entgegen: „bist du es wirklich, du Verderber Israels?“ Dieser aber antwortete: „Ich habe Israel nicht ins Verderben gebracht, sondern du und deine Familie, weil ihr die Gebote des herr verlassen habt, und weil du den Baalen nachgegangen bist. Nun aber schicke hin, versammle ganz Israel bei mir auf dem Berg Karmel.
... Erstes Buch der Könige, 18,17













Ein gelehrter Disput






An jenem ersten Abend der Woche kam Philipp zum Schloß, wo ihn Graf Johann Lothar in seinem Arbeitszimmer erwartete. Es gehörte zu den Pflichten des Mesners - und beileibe nicht zu den unangenehmsten - , Bericht zu erstatten und zwischen „Herrschaft“ und Gemeinde zu vermitteln.

An jenem verhängnisvollen Abend eröffnete der Graf das Gespräch, indem er sich eher beiläufig nach den Fortschritten des Kapellenbaus erkundigte. Vor geraumer Zeit hatte Philipp dem Herrn einen Standort am Fuße des Hexenberges vorgeschlagen. Er war bereits mit der Einleitung entsprechender baulicher Maßnahmen beauftragt worden, nachdem er den Grafen von der günstigen Zuwegung des Bauplatzes und dem nicht allzu aufwendigen Transport des Baumaterials überzeugt hatte. Zusätzliche Gründe, die des Volkes Meinung miteinbezogen und die ihn, Philipp Weckbecker, seit einiger Zeit sehr intensiv beschäftigen, hatte der Graf mißtrauisch bewertet ... und ihn auf ein anderes Mal vertröstet.

„ihr habt von heidnischen Kultplätzen gesprochen und von altem Brauchtum, dem Ihr auf der Spur seid“, fiel Graf Johann Lothar mit der Tür ins Haus.

Philipp räusperte sich verlegen; er war überrascht, daß „ein anderes Mal“ heute war.

„Wie ist das mit dem Hexenberg und dem Goloring?“

Der Bedrängte nahm tief Luft und versuchte sich zu sammeln, wie für einen Vortrag vor erlauchter wissenschaftlicher Gesellschaft. „Der Goloring war in alter Zeit ein verkleinertes Modell der 'Mutter Erde', der Erde, die man sich ja früher als kreisrunde Scheibe vorstellte.“

„Ist das nicht der Ort, wo Golo von vier Ochsen gevierteilt worden ist?“ warf der Graf ein.

„Ein Symbol, nur ein Symbol! Die Zahl Vier steht für vier bestimmte Himmelsrichtungen, die im Zusammenhang mit dem Sonnenstand wichtig sind. - Der Goloring war für unsere heidnischen Vorfahren ein heiliger Ort, an dem feierliche Zeremonien und ausgelassene Jahreszeitenfeste stattfanden.“

„Gibt es das? Und im Volke lebt eine solche Erinnerung?“ Mit diesen Worten trat eine große hagere Gestalt aus dem Schattenbereich des Zimmers hervor. An dem weißen Mantel mit schwarzem Kreuz war unschwer der Ritter des Deutschen Ordens zu erkennen. Graf Johann Lothar stellte Goswin Scheiffart von Merode vor, Landkomtur der Ballei Koblenz. Er habe ihn in seine Stiftungspläne eingeweiht. Philipp war der forsche Unterton der Fragestellung nicht entgangen, und etwas verunsichert antwortete er: „Den Goloring, ja den gibt es noch, ein verwunschener und verlassener Ort, von der Bevölkerung gemieden, weil der Übeltäter aus der Genovevasage dort noch immer umgehen und keine Ruhe finden soll. Vielleicht deutet sich in diesem Volksglauben eine unbewußte Erinnerung an die ursprüngliche Bedeutung des Goloringes an; jedenfalls die konkrete Vorstellung eines Heiligtums und zentralen Ortes der Himmelsbeobachtung verschwamm im Verlauf der Geschichte, hat das Volk möglicherweise niemals besessen, obwohl die vier Jahreszeitenfeste nach wie vor existieren, wenn auch zu kirchlichen Feiertagen umgedeutet, aber dennoch überlieferte sich uraltes heidnisches Brauchtum.“

„Könnt Ihr bitte deutlicher werden?“

Mit artiger Geste bat der Mesner den noch immer hinter seinem Schreibtisch kauernden Grafen um ein Blatt Papier, auf das er einige Kreise zu zeichnen begann. Beide Herren schauten ihm von der Seite her zu, während er erklärte:



„Im Zentrum des Erdwalls ist eine große ebene Plattform. Von dort aus wurden die Sonnenuntergänge am westlichen Horizont beobachtet. Im Verlaufe eines Jahres wandern diese zwischen zwei Wendepunkten einmal hin und her. Am 21. Dezember erreicht die Sonne ihren südlichsten, am 21. Juni ihren nördlichsten Untergangspunkt. Aber nicht diese beiden Stationen, die sogenannten Solstitien, sind für uns wichtig - sie haben nur







astronomische Bedeutung -, sondern zwei Punkte, die im Innern des besagten Horizontabschnittes liegen. Sie werden an der sonst relativ ebenen Horizontlinie deutlich markiert, und zwar durch den Hexenberg im Nordwesten, über dessen Gipfel die Sonne am 30. April und zurückkehrend am 14. August untergeht, und durch die Dreitonnenkuppe, über der die Sonne am 10. November bzw. am 1. Februar untergeht.“

„Der Graf schmunzelte. „Da haben Eure Vorzeitmenschen gewiß viel Aufwand betrieben, um den Hexenberg an die passende Stelle zu rücken?“

„Natürlich nicht. - Umgekehrt. - Der Goloring wurde an der passenden Stelle angelegt.“

„Was wollt Ihr damit sagen?“ warf Goswin von Merode ein. „Man findet doch immer irgendwelche Punkte am Horizont, wo die Sonne auf- oder untergeht.“

„Gewiß; aber bevor es numerische Kalender gab, lage bevor Julius Caesar die von Ort zu Ort verschiedenen Zeitrechnungssysteme der Kelten vereinheitlichte, quasi auf einen Nenner brachte, und die Tage des Jahres numerierte, da wurde die Länge des Jahres geometrisch bestimmt. Die Menschen fragten sich nicht, wieviele Tage das Jahr hat, sondern wann die Sonne wieder an der gleichen Stelle wie im Vorjahr steht. Priester oder Druiden verfolgten den Gang der Sonne am Horizont und bestimmten demnach die Termine ihrer Jahreszeitenfeste; vielleicht machten sie auch eine kultische Handlung daraus ...“

„Na gut“, unterbrach Goswin von Merode nachdenklich. „Welche wichtigen Tage wurden denn nun durch die Sonnenuntergänge über dem Hexenberg und dieser ominösen Kuppe angezeigt?“

„Der wichtigste Termin für eine ackerbauende Gesellschaft war sicher der Beginn der Aussaat. Er darf wegen der vernichtenden Nachtfröste nicht zu früh im Jahr und, um die heißen Tage des Sommers für die Reife zu nützen, auch nicht zu spät liegen. Das Startzeichen markierte der Hexenberg. Wenn die Sonne über seinem Gipfel unterging, so war dies das Zeichen, am nächsten Tag das Saatgut in die dafür vorbereitete Erde zu bringen, und auch das Vieh wurde zum ersten Mal ausgetrieben. Es ist nach unserer Zeitrechnung der Maifeiertag, den man, sobald die Sonne im Nordosten aufging, mit freundlichem Geschrei begrüßte.“

„Hat das etwas mit dem Mai-Kraasch zu tun“, fragte der Graf, „daß also am 1. Mai morgens vor Sonnenaufgang die jungen Burschen aus den Dörfern auf die umliegenden Hügel ziehen und mit jauchzendem 'Kraasch' den Sonnenaufgang bejubeln?“

„Ich glaube ja. Es ist ein uralter Brauch. - Und ich glaube auch, daß die Grabhügelfelder des 'Golbüsch' und des 'Chorsang' mit frommer Absicht in der Richtung der aufgehenden Sonne angelegt worden sind. Was hätte den Vorstellungen von Wiedergeburt oder Unsterblichkeit besser entsprechen können als die immer wiederkehrende lebendige Sonne?“

Philipp Weckbecker atmete tief durch. Seine Worte schienen Wirkung zu zeigen, und er wagte zu philosophieren: „Der Osten ist die Richtung der Hoffnung und des aufbrechenden Lichtes, während im Westen ...“

„... das Leben untergeht“, fuhr Goswin von Merode fort.



Philipp versuchte die hintergründige Ironie zu überhören und reagierte möglichst sachlich: „Auf der Dreitonnenkuppe stehen heute noch einige Steine, die dort nicht von der Natur, sondern von Menschen - ich glaube als Markierungshilfe oder Visiervorrichtung - gesetzt wurden. - Doch um Eure Frage zu beantworten, es ist in der Tat ein unheilvoller, trostloser und dem Tode geweihter Ort ... eine uralte Hinrichtungsstätte.“

Graf Johann Lothar bestätigte und fügte hinzu: „Auf 'Drei-Thumben' wurden früher Hexen und anderes seelenloses Gesindel hingerichtet. Die Gerichtsbarkeit untersteht heute dem Erzbischof, der sie vor langer, langer Zeit von den Virneburgern erworben hat.“

Daß die Kirche Einfluß genommen hatte, schien Goswin von Merode zu beruhigen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Hexenberg, und Philipp folgte seinem Blick.

„Ohne Zweifel die bemerkenswerteste Erscheinung in dem vorgeschichtlichen Kalenderwerk“, sagte er. „Die Menschen müssen das flimmernde Untergehen der Sonne mit dem Tanzen von Hexen verglichen haben. Noch heute sagen die Leute ihren Kindern, bevor die Sonne hier untergehe, mache sie drei Sprünge.“


Abbildungen: Blick von der Dreitonnenkuppe über den Menhir in Richtung Goloring und Karmelenberg


Rekonstruktion des Golorings
(aus Diaserie der Landesbildstelle Rhld.-Pf.
Hier: Ochtendunger Heimatblätter, Heft 2, 39)






„Und Ihr glaubt, daß der Hexenberg so zu seinem Namen kam?“ „Ja! Sobald die Sonne hinter dem Berg versinkt, beginnt die Walpurgisnacht, die mit dem folgenden Maifeiertag in enger Verbindung steht. Negativen Einfluß auf Dinge und Geschehnisse schreibt man auch heute noch den Hexen zu. Und so wird in dieser nacht und am nächsten Tag allerlei Abwehrzauber und Fruchtbarkeitsbeschwörung betrieben für den Ackersegen und das Gelingen der Aussaat. Walpurgisfeuer werden angezündet und feierliche Flurumgänge veranstaltet. Das war früher so wie heute. Im Namen der Kirche wurde altes Brauchtum übernommen und umgedeutet. Beneditionen, Exorzismen, Segnungen und Beschwörungen gegen Ungeziefer und Krankheit. Nehmt zum Beispiel die Bittprozessionen ...“

„Weckbecker, ich bitte Euch. Ihr lästert Gott“, rief Goswin von Merode erzürnt dazwischen.

Philipp ließ sich nicht einschüchtern. Er vertraute weiter der Überzeugungskraft seiner Argumente: „Auf ihrem Rückweg, in der zweiten Jahreshälfte, also bei abnehmender Deklination, erreicht die Sonne den Hexenberg nochmal, wie gesagt, am Abend des 14. August, und am nächsten Morgen geht sie auf der anderen Seite zum Fest Mariä Himmelfahrt auf.“

„Ihr sprecht vom höchsten und wohl auch ältesten Marienfest“, bemerkte der Graf.

„Aber sicher ist Euer Mesner mit dieser Definition noch nicht zufrieden“, fügte Goswin von Merode herausfordernd hinzu.

„So ist es“, gestand Philipp und fuhr unbeeindruckt fort: „Bevor die Kirche kam, war es schon das volkstümliche Fest der Ernte und der Kräuterweihe. Der 'Krautwisch“ gilt als Schutz gegen Unwetter, Ernteausfälle aller Art und bezeichnenderweise wieder gegen Hexenzauber. Er wird z. B. im Stall aufgehängt. - Das ist keine Erfindung der Kirche.“

„Jetzt interessieren mich nur noch die beiden anderen Festtage“, bemerkt Goswin von Merode in gereizter und gespannter Stimmung.

„Wenn die Sonne über Dreitonnen versinkt, wird der Lichtmeßtag am 2. Februar angekündigt, auch ein Marienfest im katholischen Kalender und gleichzeitig das Ende des weihnachtlichen und der Beginn des österlichen Festkreises. Ich glaube, auch hier lehnte sich die Kirche an vorhandene heidnische Kalenderpraktik an. Der Volksmund sagt, daß die Sonne jetzt einen großen Sprung mache, und ich meine, damit ist der Beginn eines neuen Quartals im Kalenderwerk des Golorings gemeint. Jetzt fängt nämlich ein neues bäuerliches Wirtschaftsjahr nach der Winterpause an. Die symbolträchtigen Lichter, die entzündet und geweiht werden gegen Krankheit und böse Geister, entstammen eindeutig heidnischem Kult. - Und schließlich der letzte Jahreszeitenwechsel. Wenn die Sonne bei abnehmender Deklination das zweite Mal hinter Dreitonnen untergeht, steht nach unserer Zeitrechnung der Martinstag, also der 11. November, bevor. Er beschließt das bäuerliche Wirtschaftsjahr und steht am Anfang der winterlichen Ruhezeit. Er ist das wichtigste Herbstfest, das schon in vorrömischer Zeit zum Abschluß einer geglückten Ernte gefeiert wurde, nach altem Brauch auch Fälligkeitstag, Zinstag. Am Vorabend wurde reichlich gegessen. Wieder werden Jahres- und Brauchfeuer entzündet, als Dankopfer für das Gedeihen der Feldfrucht, aber auch wieder als Abwehrzauber im Hinblick auf das nächste Wirtschaftsjahr. Damit sie weit ins Land ausstrahlen, werden sie überall auf überragende Höhen entfacht.“

Philipp Weckbecker hatte seine Worte hastig hervorgestoßen, als handele es sich darum, seine Ernte noch vor dem drohenden Donnerwetter einzufahren.

Die beiden Herren schwiegen lange. Goswin von Merode ging gesenkten Hauptes auf und ab. Er konnte sein Unbehagen kaum verbergen. Dann fragte er hintergründig: „gibt es noch mehr solcher Kalenderanlagen?“

„Nein, ich glaube nicht ... Oder doch! Bei Fraukirch! - Es ist eine merkwürdige Sache. Wer am 2. April, vom Hexenberg aus, der untergehenden Sonne nachblickt, schaut am fernen Horizont auf den Hohen Simmern, höchster Berg zwischen Mayen und Kloster Laach. Genau in dieser Fluchtlinie liegt Ochtendung und - die Kapelle Frauenkirchen bei Thür. Alle drei Orte - Simmern, Ochtendung und Fraukirch - spielen in der Genovevasage eine Rolle, und der 2. April ist der Sterbetag Genovevas. Auch die Kirche selbst ist auf dieses Datum ausgerichtet.

„Zufall, das ist Zufall“, winkte Goswin von Merode ab, und Graf Johann Lothar grübelte laut: „Weckbecker, bringt mir nicht diesen lieblichen Wallfahrtsort durcheinander, wo die Pfalzgräfin lebte, dem Gatten die Treue bewahrte, der hl. Muttergottes vertrauend, mitten in der Wildnis ...“

'“Mit dieser 'Wildnis' kann es nicht weit her gewesen sein“, ergriff Philipp das Wort, „denn bereits in römischer Zeit lag hier ein großer Gutshof, der den fruchtbaren Talgrund beim Schmalbrunnen ('Reginarisbrunnen', Anm. D. Verf.) bewirtschaftete, heute nur noch ein Ruinenfeld, in dem man allerdings einen bemerkenswerten Stein fand. Darauf war Diana, die römische Göttin der Vegetation, abgebildet mit einer Hirschkuh, die ihr Knäblein säugt.“

„Kommt zur Sache“, unterbrach Goswin von Merode ungeduldig, „Worauf wollt Ihr hinaus?“

„Nun, ich glaube, Siegfried und Genoveva hat es nie wirklich gegeben. - Dem Muttergotteskirchlein ging bereits ein heidnischer Tempel der Fruchtbarkeit voraus, der an derselben Stelle zu jenem Gutshof gehörte. - Und unmittelbar daneben gibt es einen kleinen, dem Goloring ähnlichen Erdwall. Ich will damit sagen, daß dieser Ort bereits lange vor dem angeblichen Pfalzgrafen Siegfried verehrt wurde und daß der Genovevasage ein ideeller Erzählkern zugrunde liegt, der weit in vorchristliche Zeit zurückreicht. Ähnliche Erzähltraditionen, die untereinander weitestgehend übereinstimmen, gibt es in vielen Teilen Europas. Denkt an die Sage der Königin von Frankreich und dem ungetreuen Marschall oder an den jungen Siegfried bzw. Sigurd aus dem Nibelungenlied, den man ebenfalls vergeblich als historische Person wiederzuerkennen versucht hat. Gemeinsame Vorlage war ein Fruchtbarkeitsmythos, eine Art Urmythos vom Jahres- und Sonnenkreislauf, der sich zwischen Sommer- und Wintersonnenwende abspielt: 'Mutter Erde' empfängt von der Sonne, ihrem Gatten. Aber die Sonne wendet sich von der Erde wieder ab und verläßt sie, um in südliche Länder zu ziehen. In ehelicher Treue bringt die Erde Frucht und wird von ihren Feinden, Finsternis und Kälte usw., bedrängt. Aber schließlich kommt die Sonne wieder und vernichtet sie alle ...“

„Stopp, Weckbecker haltet ein!“ gebot Goswin von Merode. Seine Geduld war am Ende. „Genug davon, genug! Ihr seid ein trefflicher Advocatus diaboli. Waltet Eures Amtes als Sakristan, meinetwegen auch als Hüter der Volkstradition, aber was Ihr betreibt, ist ein Fall für die hl. Inquisation. Wie schwer muß es Euch fallen, an die Bibel zu glauben? - Meint Ihr allen Ernstes, die Kirche hätte heidnische Feiertage und Symbole nötig gehabt? Glaubt Ihr, der Papst hätte sich um die Zeitrechnung in der Eifel gekümmert?“

„Aber ist es nicht möglich, daß die katholische Liturgie archaisches Ritual übernommen und traditionelle religiöse Phänomene weitergepflegt hat?“

„Nein, entschieden nein. Die Kirche ist doch kein Tummelplatz für niedere transzendente Bedürfnisse. In Eurem urzeitlichen Ritual ist die Reflexion doch arg unterentwickelt und hat eine barbarische religiöse Dimension.“

Philipp drehte sich um; er überlegte, wie lange er den Faden, an dem das Damoklesschwert hing, noch strapazieren konnte. „Und sie dreht sich doch“, flüsterte er verbissen, und dann noch einmal aufbäumend rekapitulierte er: „Es kann doch kein Zufall sein, daß die beiden Sommerfeste am 1. Mai und am 15. August die gleiche Sonnendeklination haben, genauso wie die beiden Winterfeste am 11. November und am 2. Februar. Und weiter, der Goloring wurde doch offenbar so angelegt, daß man die Sonne an den Sommerfesten über dem Hexenberg, an den Winterfesten über der Dreitonnenkuppe untergehen sah. Beide, Hexenberg und Dreitonnen, sind die einzigen Erhebungen auf der alten Siedlungshochfläche südlich von Bassenheim.“

„Und wenn es wirklich so gewesen wäre“, gab Goswin von Merode zu bedenken, „so verdirbt es die Sitten des Volkes, ... denn es ist besser, daß eines deiner Glieder verloren gehe, als daß der ganze Leib in die Hölle fahre.“

„Eine Stadt, die auf dem Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben“, hielt Philipp dagegen. „Auch zündet man ein Licht nicht an, um es unter den Scheffel zu stellen.“

„Credo in unum Deum. König Jeroboam verführte das Volk Israel zur 'Sünde. Er errichtete Höhenheiligtümer und führte für den 15. Tag de 8. Monats ein Fest ein; er bestieg dabei selbst den Altar. Aber Gott ist es, der den Festrhythmus bestimmt ... - Könnt Ihr mir folgen Weckbecker, kennt Ihr Eure Bibel?“

Philipp errötete heftig und zitierte zerknirscht: „Gott sprach, Gott sprach, ...“
„Was sprach Gott?“
„Gott sprach: Weil du mich verworfen hast, werde ich dein Haus vertilgen!“
„Und was geschah weiter?“
„Die angekündigte Strafe traf ein. Zwei Jahre nach Jeroboams Tode war seine ganze Familie ausgerottet.“
„Und was geschah mit den Propheten des assyrischen Sonnengottes Baal?“
„Elias ließ sie alle töten.“
„Richtig. Weil sie auf dem Berge Karmel das Volk Israel zum Götzendienst verführt hatten, damals unter König Achab. Aber Gott, der Herr, nahm ihr Opfer nicht an, während der Altar des Elias Gott wohlgefällig war. Und das ganze Volk ließ sich bekehren.“

Bevor sich die Demütigung weiter zuspitzte, räusperte sich der Graf. „Verehrter Weckbecker“, sagte er konziliant, „ich danke Euch. Wenn ihr uns nun bitte allein lassen würdet ... Eine Entscheidung, was mit der Kapelle weiter geschieht, kommt Euch zu.“ - Er begleitete seine Worte mit einer verlegenen Handbewegung in Richtung auf die Tür.






In die Südwand der Frauenkirche ist die Deckplatte eines Hochgrabes eingelassen, welche die Gestalten eines ritterlichen Ehepaares mit den bekannten Symbolen der männlichen Stärke (Löwe) und der weiblichen Treue (Hund) zu Füßen der Figuren zeigt. Die Darstellung aus der Zeit um 1360 wird von der volkstümlichen Tradition als Siegfried und Genoveva verehrt, gehört aber wahrscheinlich zur Grabstätte des virneburgischen Stifterehepaares. Auch die Verehrung des 1664 in bäuerlichem Barock errichteten Hochaltars mit Szenen aus der Genovevalegende ist typisches Beispiel einer Volkskanonisation, denn die Kirche war seit ihren Ursprüngen immer der Muttergottes geweiht. - Für Siegfried und Genoveva als tatsächliche Gestalten der Geschichte gibt es bis heute in der historischen und archäologischen Forschung keine Anhaltspunkte (vgl.: J. Röder, N. Kyll: Die Fraukirch in der Pellenz und die Genovevalegende. Rh. Jb. Volksk. 1951)























Essay zur Zeitmessung an Karmelenberg und Goloring
Dr. Wolfgang Zäck, Mayen

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Weitere Veröffentlichung zum Thema:
Geographisch orientierte vorgeschichtliche Zeitrechnung im westlichen mittelrheinischen Becken - Der Goloring - Von Dr. W. Zäck, Mayen

Scanwork Oktober 2004












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