Wirf deinen Schatten Sonne

Essay zur Zeitmessung an Karmelenberg und Goloring
Dr. Wolfgang Zäck, Mayen, 1992
















Seht, ich sende euch den Propheten Elias, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare. Er wird das Herz der Völker den Söhnen und das Herz der Söhne den Vätern wieder zuwenden, damit ich nicht kommen muß, um das Land mit dem Bannfluch zu schlagen.
... Buch Maleachi 3,23













Die Entscheidung






Tage der Ungeduld vergingen. Dann verfügte der Stifter, Graf Johann Lothar von Waldbott-Bassenheim, der Standort der Kapelle werde von der Bergflanke weg auf das Gipfelplateau verlegt, um die Würde und Gnade Mariens zu repräsentieren, um die Exklusivität des Territorialherrn und seines Anliegens einer Familiengedächtnisstätte sinnfällig zum Ausdruck zu bringen. Der vorgeblich tabuisierte Hexentanzplatz werde zur Verehrungsstätte der Mater et Decor Carmeli, der Muttergottes als flos Carmeli - Blume des Karmel. Wie an dem Orte, an dem der Prophet Elias die Priester des Baal überwunden hatte, eine frühe Marienkapelle und Einsiedelei errichtet worden waren, so werde in Analogie auch auf dem vom Hexenberg zum Karmelenberg gewordenen gräflichen Besitze eine Marienkirche nebst Eremitage eingerichtet. Die Kapelle werde der Beatissimae Virginis de Monte Carmelo geweiht.

Bald darauf waren die Leute aus dem Dorf damit beschäftigt, die halb hochgezogenen Mauern abzutragen. Pferde schleppten dann die ausgebrochenen Steine den schmalen Pfad hinauf.

Der Gipfel des Hexen- respektive Karmelenberges bestand aus einem kreisrunden Kraterwall, der in der Mitte, zur Kratermulde hin, leicht einfiel. An der höchsten Stelle lagen einige zyklopische moosbedeckte Tuffquader übereinander - wie die Leute aus dem Dorf munkelten, Hexentische, Teufelsaltäre, ein seit alters bekannter schauerlicher Tanzplatz. Philipp Weckbecker hielt ihn für eine heidnische Begräbnisstätte, wenn nicht sogar für einen Kultplatz des Sol invictus, des unbesiegbaren Sonnengottes, eine Anlage, die möglicherweise in kausaler Beziehung zu dem gigantischen Sonnenkalender des Golorings gestanden haben könnte, was jedoch noch zu beweisen wäre. - Gleichwohl, man war übereingekommen, die heidnischen Steine nicht anzurühren und die Familienkapelle in gebührendem Abstand aufzurichten.

Das aufstrebende Mauerwerk kontrollierend und, falls erforderlich, selbst mitzulangend, hatte Philipp seinen Platz an der Seite der Handwerker eingenommen.

- Da stand plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, Goswin Scheiffart von Merode mitten unter ihnen, hoch zu Roß, die Ketten und das schwere Transportgeschirr hinter sich herschleifend. Dem Propheten gleich schrie er in die Menge: „Wie lange noch wollt ihr nach beiden Seiten hinken? Ist der Herr der wahre Gott, so haltet zu ihm; wenn aber Baal es ist, so folgt diesem! - Die Leute stoben auseinander. Der furiose Reiter riß in wilder Erregung die Mauern abermals nieder, zog seine Kreise weiter, setzte bei dem heidnischen Denkmal an und schleifte die schweren Steine auseinander, dabei lauthals spottend als gelte es, mit den Trompeten von Jericho in Konkurrenz zu treten: „Baal, erhöre uns! Ruft doch lauter! Baal, erhöre uns! Er ist ja euer Gott. Er ist gewiß in Gedanken versunken, hatte wohl ein Bedürfnis und ist beiseite gegangen, oder schläft er vielleicht, rufet lauter, daß er wach wird!“

Die Leute waren starr vor Schrecken und schrien verzweifelt auf. Philipp begriff als erster, was da geschah. Ungestüm stürmte er auf den wilden Reiter zu, um der blinden Zerstörung mit bloßen Händen Einhalt zu gebieten. - Da strauchelte er und stürzte nieder. Auf einen dumpfen Schlag hin versank die Welt um ihn in abgrundtiefer Besinnungslosigkeit ...

Erst verschwommen, dann immer deutlicher tauchte aus der nebulosen Ohnmacht das freundlich lächelnde Gesicht der Gräfin auf, das ihm wie eine Vision aus dem Hohelied Salomonis vorkam, als ob man für einen Augenblick schwerelos würde und nichts mehr spürte vom trägen niederdrückenden Erdengewicht des Körpers. Jedoch - kalt war es in den verschwitzten Kleidern und gellender Schmerz hämmerte im Schädel. Er tastete zitternd um sich, und seine kraftlose Anstrengung, in eine halbwegs aufrechte geziemliche Haltung zu gelangen, wurde von der Seite durch die hilfreiche Hand einer unbekannten Person unterstützt. Man lehnte ihn gegen einen Werkzeugkasten inmitten des fürchterlichen Chaos einer verwüsteten und verwaisten Baustelle. Die Erinnerung tauchte wieder auf, und mit belegter Stimme stammelte er: „Wo sind sie alle?“

„Seid beruhigt“, flüsterte Gräfin Anna Magdalena, „Herr von Merode hat sie alle nach Hause geschickt. Es ist niemandem etwas geschehen. Nur Ihr habt eine gehörige Beule und einige Kratzer abbekommen, was Euer Dickschädel aber verkraften wird.“

- „Aber woher wußtet Ihr ..., Gräfin, wieso seit Ihr hier?“
- „Es war abzusehen. Die Bibel liefert den Schlüssel für alles. Erstes Buch der König, Kapitel 18. Herr von Merode und Ihr, ihr seid aneinander geraten wie weiland Elias und König Achab auf dem Berge Karmel. Doch ich kam leider zu spät.“ „Und auf welcher Seite steht Ihr?“

„Auf keiner. Seht, ich verstehe nicht viel von Euren Dechiffrierungskünsten und Eurem Kalenderwerk. Ich weiß auch nicht, ob die göttliche Offenbarung durch kirchliches Dogma oder durch die allgemein menschliche Vernunft zugänglich ist. Aber es gibt noch einen dritten Weg.“ Anna Magdalena zögerte, dann schlug sie die Augen nieder und fuhr in ruhigem Ton fort: „Ich habe einst bei der Geburt meiner Tochter Maria Anthonet im Zustand größter Verzweiflung dem Beistand der Muttergottes angefleht. - Meine ehemalige Französischlehrerin hatte mir ein Marienbild geschenkt. - Fragt nicht nach dem Warum und Wieso. Es war bloß ein Gefühl, eine Eingebung, aber von diesem Tage an fühlte ich mich geborgen. Ich fühlte, wie SIE mein Schicksal in ihre Hand nahm ... Glaube, der mich trägt ... seit jenem Tage.“

Philipp schaute beschämt unter sich. In seine Rührung mischte sich das Gefühl der Hilfslosigkeit. Was sollte er mit dieser Marienfrömmigkeit anfangen? Wie ging es für ihn weiter?

Anna Magdalena schien seine Gedanken zu erahnen. „Ihr müßt aus dieser verhängnisvollen Geschichte ausbrechen“, sagte sie mit fester Stimme. „Seht, der eine der beiden Kontrahenten zog in die Schlacht und starb, und die Hunde leckten sein Blut; der andere wurde von einem feurigen Wagen mit feurigen Pferden davongeführt und stieg im Sturm im Himmel empor. - Aber es gibt eine Möglichkeit, die Geradlinigkeit dieser Entwicklung zu beugen.“

Philipp hob den Kopf. Das war die Sprache, die er verstand. - Erst jetzt fiel ihm auf, daß an seiner Seite eine zweite Person Platz genommen hatte, ein kräftiger Mann in grober brauner Wollkutte mit Kapuze. Philipp erinnerte sich der hilfreichen Hand; währenddessen stellte ihm die Gräfin in galanter Manier Matthias von Saarburg vor, einen der erfahrensten Kapuziner-Architekten. - „Ich habe ihn gebeten“, fuhr sie fort, „Euren Auftrag zu übernehmen. Es soll eine kleine Marienkirche entstehen im neuen italienischen Stil, hier an diesem Ort und größer als Eure Feldkapelle. Dabei werden alle Steine mitverwendet, auch die des heidnischen Denkmals.“

„Was heißt das, 'italienischer Stil'? horchte Philipp auf, worauf der Architekt bedeutungsvoll entgegnete: „Gerade Linien können sich schneiden, sie können parallel nebeneinander herlaufen bis ins Unendliche. Sie können aber auch gemeinsam in einen Kreis einschwenken ...“























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Dr. Wolfgang Zäck, Mayen

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