Wirf deinen Schatten Sonne

Essay zur Zeitmessung an Karmelenberg und Goloring
Dr. Wolfgang Zäck, Mayen, 1992












Der Goloring - Ein Epilog






Im Jahre 1948 veröffentlichte der Archäologe Josef Röder die Ergebnisse seiner Grabungen und Messungen aus dem Jahre 1942. Es handelte sich um den sog. Goloring, den er folgendermaßen beschrieb 1 (vgl. Abb.): Einem kreisrunden Graben von etwa 175 m Durchmesser ist ein daraus aufgeworfener Außenwall von 190 m Durchmesser vorgelagert. Im Innenraum erhebt sich eine schon ohne Ausgrabung als künstlich aufgeschüttet erkennbare, annähernd kreisrunde Erdplattform von etwa 1- 1,50 m Höhe über der normalen Oberfläche mit Durchmesser von ca. 95 m. Der Graben besitzt eine obere Breite von 5 bis 6 m bei einer Tiefe von ca. 1 m, der Außenwall eine Basisbreite von ca. 7 m bei einer Höhe von knapp 80 cm. Vorgefundene Tonscherben datieren aus der jüngeren Urnenfelderkultur (ca. 1000 v. Chr.) bis hin zur römischen Zeit.

Die Anlage diente nicht der Fortifikation. Für eine Verteidigungsanlage sei die Geländeoberfläche in keiner Weise geeignet; Spuren sonstiger Befestigung des Walles durch Palisaden oder dergleichen fehlten völlig: Wall und Graben besitzen eine außerordentlich (40 m) weite Unterbrechung im Westen, die im Ernstfall nur schwer zu halten gewesen wäre. Zudem ist der Wall am Graben nach außen vorgelagert. Bei einem Schanzwerk müßte es sinnvollerweise zur Abwehr des Feindes genau umgekehrt sein.













In Analogie zu den englischen Hengedenkmälern gibt Röder dem Goloring kultische Bedeutung; dieser habe als Heiligtum des Toten- und Ahnenkultes für die ganze Umgebung, ja für weite Teile des Maifeldes und der Pellenz eine zentrale Rolle gespielt. Der eingehegte Bezirk werde zum Weltbild, zu einem verkleinerten Abbild innerhalb der großen Welt, zu einer Bühne für religiöse Handlungen. Nach dem Vorbild der Sonne, die ihren Umzug um die Erdscheibe im Osten beginnt und über Süden, Westen und Norden wieder nach Osten zurückkehrt, bewege sich auch der Mensch in sakralen Umgängen und Rundtänzen, die, wenn nicht einem Sonnenkult, so doch solarer Weltbetrachtung nahegestanden hätten.













Der Goloring könne mit unseren volkskundlichen Jahresfesten im Rahmen antiken Vegetationsglaubens in Zusammenhang gebracht werden.

Erst nachdem durch genaue Vermessungen und Vergleiche der zahlreichen englischen Hengedenkmäler seit Ende der fünfziger Jahre die astronomische Bedeutung der Anlagen wiederentdeckt worden war 2, konnten die Vermutungen Röders konkretisiert werden. Demnach waren die Kreise, Ringe und Steinsetzungen (Menhire) als Kalenderbauwerke zu verstehen. Sie dienten astronomischer Beobachtung und Zeitmessung. Zu diesem Zweck wurden insbesondere die jahreszeitlich sich verschiebenden Sonnenstände am Horizont markiert. Die wichtigsten Zeitpunkte waren dabei ohne Zweifel die Termine, die eine landwirtschaftende Bevölkerung in Abhängigkeit vom Klima einhalten mußte. Diese Zeitpunkte mögen von Anfang an mit rituellen Übungen und Zeremonien begleitet worden sein, um die Götter günstig zu stimmen, und insofern bezieht sich der solare Charakter der Anlagen sowohl auf ihren sakralen als auch auf ihren profanen zeitmessenden Gebrauch.













Röder wundert sich, warum der Goloring gerade an dieser Stelle angelegt worden ist. Die Antwort auf diese Frage kann nur aus der Lagebeziehung zum Karmelenberg verstanden werden. Die weithin sichtbare Vulkankuppe ist eine ideale Geländemarke nach dem Vorbild der englischen Peilanlagen, um einen wichtigen Sonnenstand kalendarisch vorzumerken, hier der wichtigste überhaupt: wenn vom Zentrum des Golorings der













Sonnenuntergang über dem Gipfel des Berges zu beobachten war, so war es Zeit für die Frühjahrsaussaat.

Dieses Ereignis fällt nach neuerer Untersuchung 3 auf den 16. Mai unserer Zeitrechnung. Philipp Weckbecker wählte unter allen Tagen annähernd gleichen Sonnenstandes den Vorabend des Maifeiertages aus, weil das volkstümliche Brauchtum dieses Tages Elemente des urwüchsigen Sonnenglaubens enthielt. Er wußte offenbar nicht, daß Julius Caesar im Rahmen seiner Kalenderreform die vielen Frühlingsfeste, die je nach Region und Klima an unterschiedlichen Tagen gefeiert worden waren, auf einen zentralen überregionalen Termin, den 1. Mai, zusammengelegt (u. a. also auch den Goloring-Tag um gut 2 Wochen vorverlegt) hatte.

Der 16. Mai war als Vorabend des örtlichen Maifeiertages ein agrarklimatisch wichtiges Datum für das Mittelrheingebiet. Die Erfahrung lehrt, und jeder Hobbygärtner bestätigt es, daß eine allzu frühe Aussaat bis dahin durch Nachtfröste (Eisheilige!) gefährdet ist, erst recht, wenn man die noch nicht gezüchtete Kälteresidenz der frühen Getreidesorten bedenkt. Andererseits reicht bei einer zu späten Aussaat die Vegetationszeit nicht mehr aus, und die für den Reifeprozeß wichtige Hitzeperiode im Juli käme für den Wachtstumsstand zu früh.

Die Visierlinie zum Sonnenaufgang des alten Maifeiertages am 17. Mai verläuft über den Distrikt Gollenbusch 4. Ihre rückwärtige Verlängerung zielt exakt auf die Dreitonnenkuppe.

Das heißt, man sah von der Dreitonnenkuppe aus die Sonne über dem Goloring aufgehen. Zur Justierung der Peilung diente dort ein mächtiger Zentralpfosten, dessen Spur Röder in seiner Ausgrabung feststellen konnte; und auf der Kuppe stand zu diesem Zweck ein Menhir, der in jüngerer Zeit an den Straßenrand versetzt worden ist und Spuren handwerklicher Bearbeitung trägt 2, die au feinen Gebrauch als Peilvorrichtung (in der Art einer Kimme) schließen lassen.

Karmelenberg und Dreitonnen - beides einzigartige und geschichtsträchtige Erhebungen auf der Hochfläche - gehören also zur gleichen Azimutabweichung bzw. zur gleichen Sonnendeklination in dem oben beschriebenen Sinne (als Nord bzw. Süd). Die Westrichtung, also der Blick zur Tagundnachtgleiche (Äquinoctium) wird vom Zentrum des Goloringes über den nördlichen Wallkopf vorgegeben, der am Anfang der 40 m langen Wallunterbrechung besonders mächtig und gut ausgebildet ist. Der südliche Wallkopf beginnt dagegen ganz allmählich, fast unmerklich, als wolle er die tiefe winterliche Sonnenbahn andeuten. Er gehört zum Azimut der Wintersonnenwende (21. Dez.).

Die Sommersonnenwende (21. Juni) wird am nordwestlichen Horizont durch eine Einkerbung angezeigt, die von den benachbarten Bergflanken des Karmelenberges und des (mittlerweile abgetragenen) Schweinskopfes gebildet wird.

Durch den Schnittpunkt all dieser Fluchtlinien werden die Geländekoordinaten des Goloringes bestimmt. Das Gesamtsystem bildet in diesem Sinne einen örtlichen Festkalender. Das Jahr wurde durch die Beobachtung der Sonne in spezifische Jahreszeiten eingeteilt, die auf die klimatischen Verhältnisse vor Ort zugeschnitten waren.























Quellenangaben:

  1. Röder, Josef: Der Goloring. Bonner Jahrbücher, Heft 148 Düsseldorf 1948

  2. Eine Einführung in die Archäoastronomie liefert u.a. das von Edwin C. Krupp herausgegebene Buch: In search of ancient astronomies. New Yourk 1977 (übertr. V. W. Petri. München 1980), darin besonders die Beiträge von A. und A. S. Thom und E. C. Krupp.

  3. Zäck, a.a.O. 1987
    - : Geographisch orientierte vorgeschichtliche Zeitrechnung im westlichen Mittelrheinischen Becken. In: Koblenzer Geogr. Kolloquium, 7. Jg. Heft 2, Nov. 1985
    Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß der Goloring in einem waldbedeckten nicht öffentlichen Bundeswehrgelände liegt.

  4. Noch im Jahre 1856 (H. Sauerborn: Geschichte der Pfalzgräfin Genovefa, S. 90) hieß der Distrikt „Golobüsch“, was die enge Beziehung zum Goloring andeutet. Der Flurname und die Form der Bestrafung Golos lassen auf eine sehr alte Überlieferung schließen (Röder 1948, 121). Eine Beziehung des Ortes zu Fraukirch läßt sich nicht nachweisen, ist aber aufgrund des gemeinsamen Vegetationsglaubens nicht unwahrscheinlich.

  5. Röder, Josef: Rechts- und volkskundliche Denkmäler aus dem Neuwieder Becken. Rheinische Vierteljahresblätter. Jahrgang 13, Bonn 1948, Seite 161























Essay zur Zeitmessung an Karmelenberg und Goloring
Dr. Wolfgang Zäck, Mayen

Zurück zu: Wirf deinen Schatten, Sonne - Zeitmessung am Karmelenberg und Goloring - Von Dr. Wolfgang Zäck, Mayen

Weitere Veröffentlichung zum Thema:
Geographisch orientierte vorgeschichtliche Zeitrechnung im westlichen mittelrheinischen Becken - Der Goloring - Von Dr. W. Zäck, Mayen

Scanwork Oktober 2004












© Copyright
© Copyright Dr. Wolfgang Zäck