Rechts- und volkskundliche Denkmäler aus dem Neuwieder Becken
Von Josef Röder

Projektstudie Keltendorf Wingarden
Vorzeitforschung, Heimaterkundung, Megalithzeit, Sagen, Legenden, Geschichten, Rheinische Mythologie












2. Pranger, Normalmaße, Verkündsteine















Neben der Prangersäule an der Gerichtsstätte bei der Feldkirche ist in unserem Gebiete, soweit ich sehe, kein Pranger vollständig erhalten. Ein Prangerfuß ist jedoch noch in Urmitz, eingemauert in die Häuserecke Hauptstraße - Kirchstraße, zu sehen. Die Erinnerung an den Brauch, daß hier sonntags nach dem Hochamt der Delinquent zum Spott aller Kirchenbesucher eingeschlossen wurde, hat sich im Orte noch erhalten. Urmitz gehörte zum Amt der Bergpflege. Ob der Pranger aber zur Verbüßung einer hochgerichtlichen Strafe diente, scheint mir zweifelhaft. Nach zwei, allerdings nicht genügend zweifelsfreien Aussagen, soll sich um den Stein ein Fruchtbarkeitskult von Seiten der Frauen gerankt haben, ähnlich dem bei dem Paradiesapfelstein in Irlich. 81

Sehr selten scheinen in unserem Gebiete auch alte Normalmaße sich erhalten zu haben. Am Aufgang zur Kirche von Leutesdorf (Kr. Neuwied) sind zwei völlig gleichlange Riefen in den Basalt eingehauen, der die Treppenwange verkleidet (Abb. 7). Es kann sich nur um ein Normalmaß handeln, wenngleich die Länge von 53,5 cm nicht recht erkennen läßt, welches Maß gemeint ist.















Abb. 7













Bei der Tordurchfahrt des alten Jesuitenklosters (Jesuitenplatz) in der Stadt Koblenz findet sich ein großer Granitquader. In die Oberfläche (bei der heutigen Lage) ist eine 76 cm lange Rille eingehauen. Die jetzt dem Gemäuer zugewandte Seite besitzt eine runde Aushöhlung von 29 cm oberem Durchmesser und 16,5 cm Tiefe, die ich als altes Hohlmaß (etwa für Getreide) deuten möchte. Der Rauminhalt beträgt, so gut eine Vermessung in der ungünstigen Lage möglich war, etwa 7460 ccm.

Als Architekturstück kommt der Stein bei seinen Ausmaßen nicht in Frage, auch als Zapfenloch einer Türangel kann der Napf nicht gedient haben. Möglicherweise stellt auch die Rinne auf der (heutigen) Oberseite ein Längenmaß dar. Vielleicht stand dieser seltsame Stein auch noch in anderer Weise mit dem Rechtsleben in Verbindung.

Sogenannte Verkünd- oder Bauernsteine sind in größerer Zahl bisher nur aus dem westlichen Sachsen 82 und neuerdings auch aus Westfalen 83 bekannt geworden. Aus dem Rheinlande fehlen sie noch völlig. Sie müssen aber auch hier vorhanden gewesen sein. Von einer Reihe von Dörfern des Maifeldes erhielt ich Nachrichten vom ehemaligen Vorhandensein solcher Steine, ohne daß ich die Richtigkeit bisher nachprüfen konnte. Ein sicherer Verkündstein befindet sich jedoch in dem Orte Mülheim (Landkr. Koblenz), und zwar an der Ecke des Hauses, in dem früher das Ortsgericht tagte, am Gemeindeplatz. Allsonntaglich nach dem Hochamt besteigt noch der Ortsbürgermeister den Stein und verliest von ihm aus seine Bekanntmachungen (Abb. 8). Daß der Stein als Verkündstein dient, steht außer Zweifel. Wegen seiner Lage an der Hausecke könnte man jedoch auf die Vermutung kommen, daß er ursprünglich als Prellstein Dienste tat und erst sekundär als Verkündstein Verwendung fand. Die in dem enggebauten Mülheim ziemlich zahlreichen Prellsteine an den Häuserecken haben jedoch alle eine spitzhohe Form, die sich nicht zum Draufstellen eignet, während unser Stein oben eine ebene Fläche besitzt, gerade groß genug, um bequem darauf stehen zu können. Er ist also für diesen Zweck ausgesucht. Der Stein führt den Namen „Zinsstein“, was nach unsicherer, wohl ätiologischer Erklärung daher kommt, daß einmal eine arme Frau darauf gesessen und bitterlich geweint habe, weil sie die Wucherzinsen, die ein gewisser D. für eine geliehene Geldsumme abverlangte, nicht bezahlten konnte. D. soll in dem Gemeindehaus gewohnt haben, das gleichfalls gelegentlich als „Zinshaus“ bezeichnet wird. Mich erinnert diese Geschichte stark an die „Steine der Zahlungsunfähigen“, die Antonucci 84 aus Italien bekannt gemacht hat, ohne daß ich deswegen dem Mülheimer Stein eine gleiche Bedeutung zuschreiben will.















Abb 8













Mülheim besitzt aber noch einen zweiten Verkündstein. Entlang dem Gemeindeplatz fließt ein Bach, über den eine Brücke führt. Ein früherer Bürgermeister pflegte dort eine Zeitlang seine Bekanntmachungen zu verlesen. Zu diesem Zwei ließ er sich auf der Brücke einen kleinen niedrigen Zementsockel errichten (Abb. 9).















Abb. 9 (mittlerer Stein)













Ein Denkmal aus der Altstadt Koblenz wäre hier anzufügen. Vor dem ehemaligen Pfarrhaus Ecke Mehlgasse - An der Liebfrauenkirche liegt ein Steinquader anscheinend aus demselben Material wie der Stein vor dem Jesuitenkoster. Der Stein hängt mit der am 20. April 1347 anläßlich der Grenzauer Fehde für Koblenz verhängnisvoll verlaufenden Schlacht nordostwärts Vallendar zusammen. Bis vor 150 Jahren fand für die vielen bei dieser Gelegenheit gefallenen Koblenzer alljährlich am ersten Feiertag nach Ostern ein Seelenamt in der Liebfrauenkirche statt, an das sich eine Prozession anschloß. Vor Beginn des Amtes bestieg der Stadtschreiber den eigens für diesen Zweck errichteten Stein und hielt eine Rede, in der er auf die Bedeutung des unheilvollen 20. April 1347 hinwies. 84a















Abb. 10













Wie früher häufig bei der Kirche Gericht gehalten wurde, so wurden auch vielerorts die Bekanntmachungen, die ja auch einen rechtlichen, zum mindesten amtlichen Charakter tragen, vor der Kirchentür vorgelesen. In Leutesdorf, wo außerdem schon ein Gericht vor der Kirche bezeugt ist, 85 geschieht dies heute noch (Abb. 10). Auch in einigen anderen Ortschaften des Neuwieder Beckens wurde bis vor kurzem dieselbe Sitte befolgt.

Obgleich hier nur noch erhaltene Rechtsdenkmäler besprochen werden sollen, so will ich doch noch auf ein weiteres heute verschwundenes Denkmal hinweisen. Auf dem Gemeindeplatz in Thür stand früher eine Basaltsäule, an die sich der Ortsvorsteher bei seinen Bekanntmachungen stellte. Ob der Stein sonst noch weitere rechtliche Funktionen hatte, war nicht zu ermitteln, doch war auch, nach mehreren glaubwürdigen Aussagen, ein Fruchtbarkeitskult mit ihm verbunden.













IV. Dörfliche Fest- und Versammlungsplätze - S. 178













Zum Scanwork - Juli/August 2004 Wisoveg.de, Wingarden.de















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