Rechts- und volkskundliche Denkmäler aus dem Neuwieder Becken
Von Josef Röder

Projektstudie Keltendorf Wingarden
Vorzeitforschung, Heimaterkundung, Megalithzeit, Sagen, Legenden, Geschichten, Rheinische Mythologie












V. Rasten















Überall im Neuwieder Becken und seinen Randgebieten standen früher an den öffentlichen Wegen, aber auch an den Feldwegen und den Zugängen zu den Weinbergen die sog. Rasten. Sie bestanden vielfach aus zwei Teilen, einer kleineren "Sitzbank" und einem höheren tischartigen Gebilde, dem sogenannten "hohen Stand". Beide waren meist aus Stein und, von der unterschiedlichen Größe abgesehen, völlig gleich hergerichtet. Eine lange schmale Basaltplatte besaß an der Unterseite nahe den beiden Enden zwei zylindrische Aushöhlungen, mit denen sie auf zwei aufrechtstehenden Basaltplatten aufruhte, die oben zwei Zapfen trugen, die sich in die Aushöhlung der Querplatte gut einfügten. Eine weitere Befestigung mittels Klammern und dgl. fand nicht statt. Die Sitzbank besaß normale Sitzhöhe, während der "hohe Stand" immer über 1 m hoch war und die Platte bis 2 m in der Länge messen konnte. Die Sitzbank bestand aber häufig nur aus einer primitiven Holzbank, gelegentlich mit Rückenlehne. Die Sitzbank diente, wie ihr Name sagt, zum Ausruhen, der "hohe Stand", um die Last, die man auf dem Rücken oder früher noch allgemeiner auf dem Kopf trug, darauf abzustellen.















Abb. 16













Die meisten dieser Denkmäler sind heute zerstört. Meist steht nur noch der "hohe Stand", so etwa in Leutesdorf (Abb. 16), Rodenbach, Irlich 96 (alle drei Kr. Neuwied), Ochtendung (Kr. Mayen) und noch an verschiedenen Orten. Anderwärts sind nur noch die Sitzbänke erhalten, so am Ostbahnhof in Mayen, die sog. "Hausener Sitze", vier Steinbänke in einer Reihe. "Hoher Stand" und Sitzbank sind noch erhalten bei der Raste beim Gutshof und Wirthaus "Burgerhaus" etwa halbwegs zwischen Andernach und Kruft. Dort kreuzt außerdem der Weg zwischen Miesenheim und Nickenich (alle Orte Kr. Mayen). Das Haus ist erst 1837 gebaut. Vorher stand die Raste allein auf der Höhe. Zwei kleine Wegekreuze, die auf der Seite des Wirtshauses am andern Wegrand stehen, gehören wohl nicht direkt zur Raste. Die Steinbank besteht aus zwei langen Basaltsteinen, die auf drei vorn leicht ausgeschweiften Füßen ruhen.















Abb. 17













Das schönste Denkmal dieser Art gibt Abb. 17 wieder. 97 Es ist die "St. Johanner Räst" an einer alten heute eingezogenen Wegstrecke des Fuhrwegs zwischen Mayen und St. Johann. Neben der doppelteiligen dreifüßigen "Sitzbank" erhebt sich der "hohe Stand auf der anderen Seite ein Wegekreuz. Der Sockel trägt die Inschrift

ZUR EHREN
GOTTES GEWID
MET VON JUNG
FER M. JERTRUTI
SACHELS
A. 1820

Ob Kreuz und Raste zeitlich zusammengehören, ist keineswegs sicher. Das Kreuz zeigt auch insofern eine Besonderheit, als es von einer unverheirateten weiblichen Person errichtet ist. Während sonst Wegekreuze auf Grund ihrer Inschriften durchweg von Eheleuten gestiftet wurden, und damit also schon eine Auflösung alter Vorstellungen. Die Raste mag älter oder jünger sein. Innerlich gehören diese Denkmäler aber insofern zusammen, weil der Ort der Ruhe durch das Kreuz geweiht sein sollte. Darüber hinaus bestehen Gemeinsamkeiten in den tieferen Gründen, die zur Errichtung beider Denkmalsgruppen führten (vgl. unten).

Besondere Bedeutung hatten die Rasten an den Marktwegen nach den Städten. Von besonderer Wichtigkeit ist hierbei Mayen, der bedeutendste Marktort im Neuwieder Becken. An den Ortsausgängen von Mayen standen denn auch überall Rasten: Am Weg nach Hausen die oben erwähnten "Hausener Sitze" mit Wegekreuz; am Weg nach Kottenheim (über das Basaltgrubenfeld am Anfang des Kottenheimer Waldes) auch mit Wegekreuz; am alten Weg nach Berresheim in der "Kuhtrift" stand der "Berresheimer Räst" mit Wegekreuz und "Schöpplöffel" (löffelförmiger Bildstock) und am Wege nach St. Johann die abgebildete Raste.

Die Rasten unterscheiden die oft weiten Marktwege auch weiterhin; die erwähnte "Ochtendunger Räst" und auch die Raste am Bürgerhaus standen am Marktweg Mayen - Andernach bzw. Mayen - Koblenz.

Das Alter all dieser Raststeine ist unsicher, da keiner eine Inschrift, Jahreszahl, Wappen oder Hauszeichen trägt, das Aufschluß zu geben vermöchte. Auf dem Maifelde wurden aber noch vor etwa 50 Jahren solche Rasten errichtet. Im Hinblick auf die Tatsache, daß der Basalt erst im 16. Jahrhundert zu Feld- und Wege- wie auch Grabkreuzen allgemeiner Verwendung fand, wird man der Sitte der steinernen Rasten auch kein höheres Alter zuschreiben. Von Wichtigkeit ist dagegen die Tatsache, daß in Leutesdorf heute noch zwei hölzerne Rasten stehen, eine am Eingang zu den Weinbergen bei der Grenze nach dem Orte Fahr (Abb. 18, zerstört), eine beim Bahnübergang mitten im Dorfe. Diese selbst sind auch nicht mehr ganz jungen Datums, werden aber doch wohl erst im Laufe der letzten 30 - 40 Jahre erstellt worden sein. Holzrasten sind auch noch anderwärts üblich gewesen (vgl. unten) und werden wohl immer neben den steinernen bestanden, vermutlich das höhere kulturgeschichtliche Alter haben, und vielleicht bis in die früh-, ja vorgeschichtliche Zeit zurückreichen. So würde es sich auch erklären, daß uns keine älteren Denkmäler dieser Art erhalten geblieben sind.















Abb. 18













Wenn ich hier von Denkmälern spreche, so meine ich dies im eigentlichen Sinne dieses Wortes, denn die Rasten sind ursprünglich zur Erinnerung an Tote oder von Lebenden zum Gedächtnis ihres Namens erbaut worden. Ferner verbinden sich eschatologische Vorstellungen mit ihnen.

Hier seien die hauptsächlichen Angaben, die ich meinem Hauptgewährsmann verdanke, im Wortlaut (wenn auch zusammengefaßt) angeführt, wobei ich nur die im Dialekt vorgebrachten Äußerungen ins Hochdeutsch übertrage. Der Erzähler entsinnt sich noch an die Erbauung solcher Rasten. Sie wurden in den eigenen Weinbergen oder an den Wegen dazu, an öffentlichen Wegen möglichst auf eigenem Feld oder in der Nähe eines solchen errichtet zur Erinnerung an den toten Vater oder die verstorbene Mutter, oder von einem Lebenden zum Gedächtnis an seinen Namen gesetzt werden, und wer hier Rast hielt, sollte des Toten gedenken und für ihn beten. So hatten die Steine häufig Eigennamen zum Andenken an den Toten, der ihn für sich erstellt hatte. Auf dem Wege von Rüber nach Dreckenach (beide Kr. Mayen) hatte der Mühlenbesitzer Köhnen von Dreckenach eine Raste erbauen lassen, die ganz allgemein als "Köhneräst" bezeichnet wurde, und der Bauer Feilz von Gappenach erbaute sich an dem Wege von Gappenach nach Naunheim (beide Kr. Mayen) eine Holzraste, daneben eine Holzbank mit Rückenlehne als Ruheplatz, die den Namen "Feilz(e)räst" trug. Dort saß Feilz oft und sah zu, wenn seine Knechte "herumfuhrwerkten".






Und so meint man auch, der tote Vater säße noch weiterhin auf der Raste und sehe der Feldarbeit zu. Meine Frage, ob seine Seele oder sein Geist dort sitze, wurde von dem Erzähler verneint. Er sagte: in Gedanken sitze er da. Es sind die Gedanken der Menschen, der Familie, und man sagt auch wohl: ich fühle mich so heimisch hier, ich meine, der Vater sitzt noch da. Ich meine, ich sehe den Vater dort sitzen, und sitzt er auch in Wirklichkeit nicht da. Besonders wenn einer plötzlich und unvermutet abberufen wird, denkt man besonders oft an seine weitere Anwesenheit. Gelegentlich sprach der Erzähler selbst ganz unbefangen davon, daß die Seele des Toten noch anwesend sei. "Er sitzt im Tode da und sieht zu, wie gearbeitet wird. Anders ist es nicht aufzufassen. Er betrachtet die Arbeit und die Felder, so wie im Leben." - Die Seele des Vaters, der auf der Raste sitzt oder auch auf die Bank beim Hause (vgl. unten), hilft schon bei Lebzeiten, und bei alten Leuten drang man darauf, daß sie nicht mehr arbeiteten, sondern nur noch zusahen, und man unterbreitete auf diese Weise alles ihrer Kritik. Auf diese Art hilft die Seele. Und wenn ein Acker besonders ertragreich ist, dann haben die verstorbenen Eltern geholfen." Oder man sagt auch wohl: "Der tote Vater hilft beten". Und der Erzähler fügte hinzu: "Wir wollen uns nicht darüber erheben (d.h. daran zweifeln), wenn einer erzählt, ich habe diesen oder jenen Toten gesehen."

Auf meine Frage, wie es zu verstehen sei "in Gedanken der Menschen sitzt der Tote da", gab der Erzähler bei gelegentlichen Fragen immer wieder zwei Antworten. Einmal: "es sind die Gedanken der Familie" (vgl. oben), dann aber auch, daß der Tote mit seinen hilfreichen Gedanken anwesend sei.

Von höchstem Interesse ist ferner noch folgende Aussage: Die Nachkommenschaft sagt von einem Toten, der eine Raste erstellt hat, aber arm gestorben ist: "Wenn er sich damit auch keine irdischen Güter erworben hat, so hat er sich doch damit einen Stuhl im Himmel verdient". Dieser Ausspruch war aber auch sonst bei guten Werken gebräuchlich.

Gelegentlich sollen auch kinderlose Ehepaare zur Erhaltung des Familiennamens Rasten haben errichten lassen. Der Erzähler fügte allerdings hinzu: ich möchte nicht, daß die Leute noch nach hundert Jahren wissen, daß ich keine Kinder gehabt hätte.

Die Rasten an den Marktwegen nach den Städten teilten den Weg in einzelne markante Abschnitte unter, und wer etwa den Weg von Bassenheim oder Ochtendung nach Mayen machte, für den waren die "Ochtendunger Räst" oder die "Hausener Sitze". (Hausen, Kr. Mayen) bedeutungsvolle Punkte, und die genannten Bezeichnungen waren so allgemein, daß die Namen der Errichter daneben vergessen wurden und nicht mehr bekannt sind. Mit dem Bau der Eisenbahnen, der Zunahme des Fuhrverkehrs und dem Abholen der ländlichen Produkte durch die Händler und Genossenschaften in den Dörfern selber haben die alten Marktgänge und damit auch die Rasten ihre Bedeutung eingebüßt.

Solche Rasten gab es auch in Hessen, Rheinhessen, in der Pfalz und im Elsaß, 98 und ähnliche steinerne Tische beschreibt Coutil auch aus der Normandie. 99 In Rheinhessen werden sie "Ruhen" genannt und als "Steingestelle in Galgenform, die zum Absetzen der Graslasten für die Frauen dienten" beschrieben. In der Pfalz und im Elsaß werden sie als "Napoleonsbänke" bezeichnet oder auf Napoleon zurückgeführt. Bei Hanau nennt man sie auch "Mahnstein". Sollte der Name darauf zurückzuführen sein, daß sie wie im Neuwieder Becken an Tote gemahnen? Im Hessischen sind sie gelegentlich auch ganz aus Holz gewesen, meist aber bestehen sie aus Stein und werden durch eiserne Klammern zusammengehalten. Zum Sitzen sind sie auch dort zu hoch, manchmal sind sie zweistufig.

Sie dienen zum Abstellen der Kopflasten, die zweistufigen erleichtern das auch den Kindern, wenn man die niedrigen nicht hauptsächlich zum Absetzten der Kiezen benutzte. Nach meiner Meinung wäre auch die Frage zu prüfen, ob hier nicht die "Ruhebank" und der "hohe Stand" unserer rheinischen Denkmäler zu einem Aufbau verschmolzen sind. In der Normandie kommen solche Steintische mit zwei als auch mit vier Stützfüßen vor. Coutil glaubt, daß sie aus alten Dolmensteinen verfertigt wurden. Ob sie zum Abstellen der Lasten dienten, sagt er nicht. Sie stehen an alten Wegen, gelegentlich auch an Eingängen zu Friedhöfen, und sind oft mit Steinkreuzen zu einem Denkmal verbunden. Unter einem solchen Stein im Dep. Eure, der als "tombeau des Saint-Ethbin" bezeichnet wird, wurden Menschenknochen gefunden, so daß wir auch in Frankreich möglicherweise eine Beziehung dieser Tischsteine zum Totenkult vorfinden.

Wichtig erscheint mir an unseren rheinischen Raststeinen, daß sie zum Andenken an einen Toten oder von Lebenden errichtet wurden, um sich einen "Stuhl im Himmel zu sichern", und daß man glaubte, dieses Ziel durch eine besondere Leistung zum Nutzen für die Allgemeinheit zu erreichen. So merkwürdig diese Verbindung auch erscheinen mag, so steht sie doch nicht vereinzelt da.

Eine ähnliche Sitte finden wir im frühen Mittelalter in den nordischen Ländern. Eine ausführliche Besprechung, die H. Arntz 100 über den neuesten Band der Ausgabe der uppländischen Runendenkmäler gegeben hat, enthält eine ganze Reihe von Angaben, die in unserem Zusammenhang von Wichtigkeit sind. So ließ ein Mann namens Jarlabanka vier fast gleichlautende Runensteine errichten: "J. ließ diese Steine zu seinem Gedenken errichten, während er lebte und er schuf diese Brücke für seine Seele ..."

Die Brücke, die Jarlabanka "für seine Seele" errichten ließ, und die die Grundlage eines neuzeitlichen Straßendammes bildet, bestand aus Bruchstein, der auf den Lehmgrund aufgesetzt und teilweise in ihm eingesunken war. Darauf war Sand und Schotter geschüttet. Bei dem häufig wiederkehrenden Ausdruck "Brücke" wird man gemeinhin an Straßendämme, Steinbänke, Knüppeldämme denken dürfen. Auf einer ganzen Reihe von Runensteinen kehrt die Angabe wieder, daß zum Gedächtnis eines Menschen Brücken gebaut wurden. Arntz druckt einige Beispiele ab. 101

Also auch hier ist das Gedächtnis für einen Toten und wohl auch das Heil seiner Seele mit einer besonderen Leistung für die Allgemeinheit verbunden. Auf die weite Verbreitung dieser Anschauung im Rahmen der ethnographischen Megalithkulturen kann hier nicht eingegangen werden. 102























VI. Ruhesteine vor den Häusern - S. 188













Zum Scanwork - Juli/August 2004 Wisoveg.de, Wingarden.de















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