Der Goloring

Ein eisenzeitliches Heiligtum vom Henge-Charakter im Koberner Wald (Landkreis Koblenz).
Von Josef Röder, Bonner Jahrbücher 1948, S 81 - 132












Solarer, religiöser und volkskultlicher Charakter























Zwei Wege stehen bei der Frage nach der Bedeutung der Henges und des Goloringes offen. Oben wurden einige verwandte Anlagen aus anderen Teilen der Welt beschrieben. Wir dürfen keine durchgehende Bedeutungsgleichheit erwarten. Wenn diese Anlagen nur einem in den Grundzügen gleichen Zweck dienen, wäre für die Erklärung und Deutung schon einiges gewonnen. Der andere Weg führt uns über die Betrachtung einer Reihe volkskundlicher Denkmäler, die direkte Nachfahren der Henges sein werden. Es wird sich zeigen, daß sich beide Wege wieder treffen.

Eines gilt es von vornherein festzuhalten. Wenn auch die Rundform und die sakralen Umgänge aller Art eindeutig solaren Charakter aufweisen, solarer Weltbetrachtung und Einstellung ihr Entstehen verdanken, so ist es doch Dicht angängig, daraus für die hier in Frage stehenden Denkmäler einen direkten Sonnenkult zu postulieren. Sie entspringen einem Denken und Verhalten des Menschen im Bilde kosmischer Vorgänge und sind an sich mehr weltbildhaft-symbolischen oder auch magischen als direkt religiösen Charakters. Wir werden zwischen solarem Weltbild samt den dieses zum Ausdruck bringenden Kultmitteln und einem Sonnenkult in dem Sinne der Sonne als hoher Gottheit streng zu scheiden haben. Sie können zusammenfallen, müssen es aber nicht, tun es auch in den meisten Fällen nicht, wenngleich dies einmal in einem 'Zeitalter des Sonnengottes' der Fall gewesen sein mag. Jedenfalls sind aus der Sprache der Kultmittel der Kult und die religiösen Ideen, in deren Dienst sie stehen, nicht direkt ablesbar. Oben wurde auf die buddhistischen Stupen und Stupenterrassen mit ihren Galerien und Umgängen für sakrale Umwandlungen hingewiesen. Nun hat der Buddhismus natürlich nichts mit einem Sonnenkult zu tun. Die Umwandlungen des Stupa gelten der Verbindung des Gläubigen mit einer Reliquie des Buddha oder eines Heiligen seiner Kirche. Auch in den Prozessionen der katholischen Kirche oder des Islam werden oft solare Züge sichtbar. Und bei vielen Völkern der Erde, so etwa bei den Griechen und Römern, den Indern und Germanen der Spätzeit, spielten zwar Umgangsriten eine große Rolle, ohne daß uns weder in den Kulten noch in den Mythologien dieser Völker der Sonnengott selbst als höchste oder auch nur überragende Gottheit entgegentritt.

So können wir aus den Heiligtümern selbst die religiösen Ideen, in deren Dienst sie stehen oder standen, nicht ablesen. Wir können uns auf Umwegen der Bedeutung nähern. Oben wurden als Gegenbeispiele der Plattenring von Mykene, das Ustrinum Augusti, die Denkmäler der Mound-Kultur, der Himmelsaltar in Peking und südrhodesische Festplätze genannt. Der Plattenkranz von Mykene allerdings verkehrt selbst in vorgeschichtlichem Zustand und bedarf der Deutung.

Das Ustrinum Augusti 1 ist nur aus der ganzen geistigen und sozialen Struktur der frühen Kaiserzeit verständlich. Alte und neue Vorstellungen und Formen sind hier zusammengeflossen. Es diente der decursio, dem Umlauf von Ritterschaft und Heer, die zu diesem Akt durch ihren Soldateneid religiös verpflichtet waren, als Zeichen der Bindung an den toten Imperator. Der tote Kaiser wird durch die consecratio dem Stammvater seines Geschlechtes, dem sol invictus, gleich. Sein Verbrennungsort (die Verbrennung gehört wohl selbst in den Kreis solarer Kultmittel) wird zum Sonnengrab und Tod und vergöttlichtes Weiterleben des Herrschers damit in das große Naturschauspiel (vom täglichen Auf- und Untergang der Sonne}einbezogen. So hat die fast aus intellektuellen Ursprüngen in dem Suchen nach einer vergeistigten Religion und die im neuen Herrscherkult des Hellenismus wurzelnde Sonnenverehrung hier neue Blüten getrieben, die uralten Vorstellungen vom Tode eines Gottes und. seiner Wiederauferstehung, wie sie in den Mysterienkulten gefeiert wurden, merkwürdig ähnlich sehen.

Die Denkmäler: der 'Mound-Kultur' Nordamerikas stehen nicht mehr im lebendigen Zusammenhang ethnographischer Kulturen. Sie bedürfen selbst der Erklärung und Deutung. Soviel ist jedenfalls sicher, daß die Henges der Mound-Kultur Fest und Tanzplätze gewesen sind. Die Navaho, ein ehemals nomadischer, heute aber auch ackerbautreibender Volksstamm des Südwestens, kennen ein Fest, das zur Erklärung der Henges, der Mound Kultur nicht ohne Bedeutung ist, vor allem wegen der Herrichtung des Platzes, auf dem es gefeiert wird. Stellt er doch ein Henge in vergänglichem Material dar. Das Fest findet im Winter statt und wird auf einem Platz gefeiert, der in der Runde von einem Strauchgatter, einer Reisighecke, umgeben ist. Im Beginn zeigt diese nur im Osten einen Zugang. In der Mitte brennt ein Feuerstoß. Nach einem Umzug der jungen Leute um das Feuer, wobei ausdrücklich betont wird, daß dieser Umzug im Osten beginnt und über Süden, Westen und Norden wieder nach Osten zurückführt, folgen mehrere andere symbolische Tänze. Dann kommt die Sonnenaufgangszeremonie. 16 Männer scharen sich um einen Pfosten in der Mitte. Sie tragen das Bild der Sonne in einem Korb. Sie singen und tanzen dabei rund um den Pfosten, springen dann auseinander, und nun hebt sich das Sonnenbild vor aller Augen an dem Pfosten empor und sinkt nach einigen Minuten wieder zurück. Zweimal geht so die Sonne auf, dann hebt ein anderer Reigen an. Die befruchtende Gewalt der Sonne wird nun dargestellt. Aus einer Wurzel, die die Schauspieler vor aller Augen in den Boden pflanzen und die nichts weiter zeigt als ein grünes Keimbüschlein, zaubern sie eine große Pflanze mit mächtigem Blütenstand hervor. Immer wieder scharen sie sich um die Pflanze, und wenn sie auseinandergehen, sind die Blütenblätter herabgefallen und die Staude trägt prächtige Früchte, die eingesammelt werden.

Gegen Sonnenaufgang ein letzter Wirbel um den niederbrennenden Scheiterhaufen. Mit diesem Tanze endet die heilige Nacht. Wenn die Sonne aufgeht, ist das kreisförmige Strauchgatter, das am Abend nur im Osten ein Tor hatte, an vier Stellen offen, nämlich nach Osten, Süden, Westen und Norden 2.

Diese Vierteilung der Umfassung des Heiligtums läßt einerseits an Avebury, andererseits an den großen Himmelsaltar in Peking denken. Das Opfer auf dem Himmelsaltar selbst bildet nur einen Teil aus einer langen Folge von Zeremonien, die zur Wintersonnenwende stattfanden. Im feierlichsten Augenblick der ganzen Handlungen lag der Kaiser, der 'Sohn des Himmels', im Mittelpunkte des Altares, umgeben von den (in den Plattenringen symbolisierten) neun Himmeln vor seinem Vater, dem Himmel, auf dem Angesicht und flehte für die nächste Ernte 3. Solare Beziehungen werden auch hier deutlich. Das Opfer findet beim Aufgang der Sonne statt. Aber der Kult gilt nicht der Sonne, sondern dem Himmel.

In den Heiligtümern Südrhodesiens werden bei den großen Festen Opfer dem Monde und der Venus dargebracht als den großen Geschwister(gatten)-Gottheiten und den himmlischen Repräsentanten des männlichen und des weiblichen Prinzips und damit aller Fruchtbarkeit in der Natur. Menschenopfer bei ausbleibendem Regen und anderen Gelegenheiten sind Sinnbilder des kosmischen Dramas vom Sterben des Mondes und seiner Rettung durch die Schwestergattin (die Venus), die ihm in den Tod folgt und ihn wieder erweckt, wie bestimmte Konstellationen von Mond und Venus gedeutet werden. In den Heiligtümern wurde auch eine genaue Gestirnsbeobachtung, vornehmlich der Venusaufgänge, betrieben 4.

Was hier an wenigen Beispielen gezeigt wurde, ließe sich leicht an erheblich zu verbreiterndem Material weiterverfolgen. Doch soll das nicht mehr an Hand völkerkundlichen Materials erfolgen, sondern an europäischen Beispielen aus dem volkskundlichen Bereich geschehen. Der Himmelsaltar, die rhodesischen wie die amerikanischen Festplätze stehen im Dienst ausgesprochener Naturkulte, mag die entscheidende Gottheit auch in einem Fall der Himmel, in dem anderen die Sonne bzw. Mond oder Venus sein. Aus den solaren Zügen der Kultmittel lassen sich die Adressaten der Opfer nicht ablesen. Doch tritt das Jahreszeitdrama, die Fruchtbarkeit der Natur und ihre Beeinflussung durch Gebet, Opfer und dramatische Darstellung eindrucksvoll in den Vordergrund. Und im Ustrinum Augusti ist die Vorstellung von einem sterbenden, und wieder erstehenden Gott auf den Verstorbenen und sein Schicksal hin bezogen, wenn anders die Deutung von Goetze nicht völlig fehlschießt.

Wir sahen, wie die Henge-Denkmäler selbst lange ihre Heiligkeit bewahrt haben. Ihr Baugedanke hat aber in England und Irland noch in späteren Zeiten nachgewirkt, und so findet sich eine große Zahl kreisrunder Plätze aus dem Mittelalter und der Neuzeit, die mit Wall und Graben umgeben sind. Gelegentlich tritt noch der Außenwall auf, auch mehrere konzentrische Gräben und Wälle kommen vor. Allcroft 5 hat neben echten Henges eine ganze Reihe dieser Plätze zusammengestellt. Fast in jedem Band der Victoria History of the Countries of England findet man ein Kapitel 'Ancient Earthworks', worin u. a. ähnliche Anlagen beschrieben werden. Diese Denkmäler verlängern die alte Henge-Tradition bis in die Neuzeit hinein. Und wenn überhaupt, dann dürfen wir gerade hier im Zusammenhang mit volkskundlichen Gebräuchen Aufschlüsse über die Bedeutung der Henge-Denkmäler erwarten. Soweit ich sehe, ist es allerdings gerade damit in England nicht gut bestellt, denn die Deutung als Viehhürden scheint vielfach nur eine Verlegenheitslösung darzustellen. Innerhalb der viereckigen Umwallung einer eisenzeitlichen Befestigung auf Trendle-Hill, Cerne, liegt ein weiterer, in Anlehnung an die Form der Festung gleichfalls viereckig ausgebildeter, allseitig geschlossener niedriger Wall, der einen Maifestplatz umsäumt, auf dem bis in die jüngste Zeit hinein alljährlich der Maibaum errichtet wurde 6.

Gleichartige volkskundliche Denkmäler sind aber auch auf dem Kontinent vorhanden, wenn auch fast nicht beobachtet. So konnte ich im Gebiet der südlichen Rheinprovinz eine ganze Reihe alter Maifestplätze ermitteln, die in unserem Zusammenhang von allergrößtem Interesse sind. Sie bestanden aus einem Baum als Mittelpunkt, der von einem kreisrunden Graben mit Innenwall umgeben war, in der Art, daß ein größerer umfriedeter Raum um den Baum zur Ausführung der Reigentänze frei blieb. Der Wall diente als Sitzplatz für die Zuschauer, wie das auch für die Henge-Denkmäler angenommen wurde 7.























  1. Goetze a. a. O. 35 ff.

  2. Nach L. Frobenius, Vom Kulturreich des Festlandes (1923) 90 ff.

  3. Ausführlich bei J. J. M. de Groot, Der Universalismus (1919).

  4. L. Frobenius, Erythraea (1931) 199 ff., 230 ff. und passim.

  5. Ancient Earthwork of England (1908). Die dort gleichfalls erwähnten und abgebildeten, oft etwas oval gestalteten und mit zwei entgegengesetzten Eingängen versehenen 'Amphitheater' sind allerdings sicherlich römischen Ursprungs. Auf dem Festlande entsprechen ihnen das Amphitheater von Hirten (Lehner, Vetera) und kleinere Anlagen dieser Art bei verschiedenen Limes-Kastellen.

  6. O. G. S. Crawford, Antiquity 3, 1929, 279 f. Taf. 2.

  7. Clark a. a. O. 26.















Zu: Die 'Reitbahn' im Hambucher Wald - S. 118
















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Scanwork - Juni/Juli 2004 Wisoveg.de, Wingarden.de












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